Gutachten sieht Handlungsbedarf bei Zeiterfassung in Deutschland

Mit dem Urteil vom 14. Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Unternehmen zukünftig die Pflicht zur systematischen Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeiter*innen haben. In Deutschland besteht bislang lediglich die Verpflichtung zur Dokumentation von Überstunden sowie Sonn- und Feiertagsarbeit. In dem vom Bundesarbeitsministerium in Auftrag gegebenen Gutachten kommt Prof. Frank Bayreuther, Rechtswissenschaftler der Universität Passau, zu dem Schluss, dass die Vorgaben der europäischen Arbeitszeitrichtlinie im deutschen Arbeitsrecht nicht ausreichend erfüllt werden. Die Ergebnisse und möglichen Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen haben wir für Sie kurz zusammengefasst.1

 

Der Gesetzgeber sei verpflichtet, das deutsche Arbeitsrecht dahingehend zu ergänzen, dass Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit am jeweiligen Arbeitstag dokumentiert werden, heißt es im Gutachten von Prof. Bayreuther. Das bedeutet, dass Arbeitgeber jede Arbeitsstunde ihrer Mitarbeiter*innen systematisch zu erfassen haben. Arbeitnehmer*innen muss dabei ein Recht auf Einsicht in die über sie geführte Zeiterfassung gewährt werden.

 

Gestalterische Spielräume bei der Umsetzung

 

Darüber, wer die Arbeitszeit erfassen muss und in welcher konkreten Form dies zu erfolgen hat, wird im EUGH-Urteil keine Aussage getroffen. Somit besteht auch keine Pflicht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems. Bei der Art und Weise der Dokumentation sieht der Experte daher gestalterischen Spielraum. Es müsse keineswegs eine einheitliche Erfassungsregel geben, die für alle Branchen und Betriebe gilt. Ob die Stunden elektronisch, per App, Stechuhr oder auf dem Papier festgehalten werden, lässt der EuGH offen. Voraussetzung ist lediglich, dass das System „objektiv, verlässlich und zugänglich“ ist. Somit können Arbeitgeber Beschäftigte theoretisch verpflichten, ihre Arbeitszeiten selbst in Papierform zu dokumentieren.

 

Einschränkungen bei Vertrauensarbeitszeit

 

Im Rahmen von Vertrauensarbeitszeitregelungen verzichten Arbeitgeber immer wieder auf eine Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Prof. Bayreuther sieht nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit gekommen. Aber:  Wenn Mitarbeiter*innen verpflichtet werden, zu dokumentieren, welche Stunden sie in welchem Zeitraum geleistet haben, ist eine freie Zeiteinteilung – egal ob im Büro oder  bei mobiler Arbeit – weiterhin möglich, jedoch nur mit entsprechender „Buchhaltung“. Aus der Erfassung müssen die wöchentliche Höchstarbeitszeit, ggf. anfallenden Zeitausgleiche sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten zu erkennen sein.

 

Aufzeichnung auch der Ruhepausen naheliegend

 

Bislang nicht verpflichtend, jedoch naheliegend ist gemäß des Expertengutachtens auch die Dokumentation der Gewährung von Ruhepausen, um es diesbezüglich nicht auf ein neues Verfahren beim EuGH ankommen zu lassen. Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zeigen, dass Beschäftigte bestimmter Branchen in teils hohem Maße über verkürzte Ruhezeiten berichten, was mit gesundheitlichen Risiken einhergeht.

 

Bei Verstößen drohen arbeitsrechtliche Sanktionen

 

Für Arbeitgeber, die gegen die neue Erfassungspflicht verstoßen, wird im Gutachten die Möglichkeit einer aufsichtsrechtlichen Sanktionierung gefordert.

 

Ob und wie das Bundesministerium die Ergebnisse des Gutachtens umsetzt bleicht abzuwarten. Auch aus der Wirtschaft kommt der Wunsch nach einer Überarbeitung des deutschen Arbeitszeitrechts. Hier besteht jedoch der Wunsch – insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung - nach einer Lockerung der täglichen Höchstarbeits- und Ruhezeiten. 


1 Der Text wurde auf Basis einer Sekundärauswertung erstellt. Das Gutachten ist noch nicht öffentlich zugänglich.